Sichtbar schnellere Erfolge mit deinem Pferd erzielen
mit dem Test-Bewegung-Retest-Prinzip
Neulich unter Pferdeleuten:
Gesprächpartnerin: „An welcher Lektion arbeitest du gerade?“
Ich: „Ich verstehe die Frage nicht.“
Gesprächspartnerin: „Na was erarbeitet ihr euch gerade? Schulterherein oder Außengalopp oder Travers z.B.!“
Ich: „Ok, wir müssen reden.“
Der darauffolgende epische Monolog meinerseits (jaaaa, ich kann mich von Zeit zu Zeit auch in etwas hineinsteigern… 😉 ) war ein flammendes Plädoyer für die Entwicklung von Bewegungskompetenzen und gegen das stumpfe Üben von Lektionen, nur, damit man die Lektion kann.
Eine meiner guten Eigenschaften ist, ich denke über Dinge nach. Und so hat mich auch dieses Gespräch lange beschäftigt. Mir stellten sich vor allem zwei Fragen:
1. Wieso sind viele so scharf darauf, Übungen zu reiten, ungeachtet der Ausführungsqualität?
2. Wie kann ich meine Idee von Ausbildung noch nachvollziehbarer vermitteln?
Die Antwort auf Frage eins ist derart komplex und geht soweit über die eigentlichen Trainingsthemen hinaus, dass ich sie hier nicht beantworten kann. Aber die Antwort auf Frage zwei habe ich vielleicht gefunden. Das kannst du mir sagen, nachdem du fertig gelesen hast. 😉
In die richtige Richtung geschubst, hat mich dabei Claudia Butry von Neuesreiten, vermutlich ohne es selbst zu wissen. Ein Kernthema ihrer Neuroathletik Webinar-Reihe, die sie für die angehenden Trainerinnen meines aktuellen Ausbildungsjahrganges gehalten hat, war das Test-Retest-Prinzip:
In der Neuroathletik gibt es jede Menge sehr unterschiedliche kleine Übungen, um die eigenen Grundfähigkeiten wie z. B. das Gleichgewicht, die Elastizität oder die Stabilität zu verbessern. Wichtig ist hierbei, sich zu Beginn einer Einheit des eigenen aktuellen Status quos bewusst zu werden. Im Falle des Gleichgewichts führt man dazu mehrere Tests durch. Stehen mit ganz eng geschlossenen Füßen, Stehen mit hintereinander aufgestellten Füßen (Ferse an Zehe), Stehen auf einem Bein mit nach vorn angehobenem, angewinkeltem anderem Bein, etc. Das Ergebnis dieser Übungen gibt Aufschluss darüber, wie es aktuell um die eigene Fähigkeit bestellt ist, in anspruchsvolleren Situationen das Gleichgewicht halten zu können. Natürlich könnte man nun so vorgehen, dass man diese Tests einfach andauernd wiederholt, in der Hoffnung, sie werden mit der Zeit besser ausfallen. Das wäre das Äquivalent zur Lektionsreiterei. Ich reite einfach so viele Traversalen, bis irgendwann ein halbwegs passable dabei ist.
Die viel elegantere und auch viel schnellere, um nicht zu sagen rasendschnelle (nein, ich übertreibe nicht! Es geht mitunter rasend schnell und die Veränderungen sind enorm!) Variante ist aber folgende: Man merkt sich die Gleichgewichtsübung, die am schwierigsten für einen war (bei mir war es das Stehen mit hintereinander aufgestellten Füßen, linkes Bein hinten). Diese ist nun die offizielle Test-Übung. Nun werden völlig andere, kleine Übungen gemacht. Übungen aus einem Bereich, der vermeintlich erst mal nichts mit dem Gleichgewicht zu tun hat. Augenübungen z.B. (Wer mehr wissen möchte, kann sich gerne zur nächsten Neuroathletik-Reihe anmelden). Nachdem eine Augenübung ausgeführt wurde, wird wieder das Gleichgewicht mit der Übung getestet, die in der ersten Runde die Schwierigste war. Man retestet also. Und wenn dieser Retest besser ausfällt, dann weiß man, dass die absolvierte Augenübung gut für einen selbst ist. Wäre der Retest unverändert oder schlechter, so kann die Augenübung zu den Akten gelegt werden.
Natürlich spielen auch die Tagesform und der aktuelle Gesundheitszustand eine Rolle, daher darf man der heute untauglichen Übung gerne an einem anderen Tag eine neue Chance geben.
Jetzt ist es aber nun so, dass wir mit unseren Pferden natürlich keine Augenübungen durchführen können. Und auch die Zungenübungen könnten schwierig werden. Ich möchte aber das Grundprinzip hinter dieser Art des Trainings salonfähiger – oder besser reithallenfähiger machen, weil es tatsächlich das ist, was ich schon seit vielen Jahren tue und es funktioniert prächtig.
Ebenso wie wir, haben Pferde Bewegungskompetenzen in den Bereichen Balance, Kraft, Koordination und Flexibilität. Wenn wir das Test-Retest-Prinzip auf die Reiterei übertragen, dann könnte dies z.B. folgendermaßen aussehen:
Dein Pferd tritt im Trab nicht so schön unter und auf der Zirkellinie driftet es über die Schulter, je nach Hand, nach außen oder nach innen. Du wünschst dir also für dein Pferd einen raumgreifenderen Trab und eine bessere Längsbiegungsfähigkeit auf Zirkel und Volten.
Nach der Aufwärmphase führst du zunächst die Tests mit deinem Pferd durch: Du trabst ganze Bahn, du verlängerst an der langen Seite die Tritte und du trabst ein-zweimal auf der Zirkellinie entlang. Dies tust du auf beiden Händen. Somit hast du nun den aktuellen Status quo als Ausgangsbasis. Jetzt geht es zurück in den Schritt und die eigentlichen „Übungen“ beginnen. Um die Hinterhand zu mobilisieren und aktivieren lässt du die Hinterbeine spielerisch kreuzen. Mal von rechts nach links, mal von links nach rechts, im Stand und in Bewegung. Nach einigen Versuchen trabst du wieder an und wiederholst die Tests vom Beginn der Stunde.
Hat sich etwas verändert?
Wenn ja, dann wiederhole die Schrittübungen, um den positiven Effekt auf den Trab zu verstärken und reteste danach erneut.
Wenn nein, dann gehe zum nächsten Übungsblock über: mobilisiere die Schulterpartie. Dazu lässt du die Vorderbeine deines Pferdes kreuzen. Von rechts nach links, von links nach rechts, im Stand und in der Bewegung. Du kannst dir schon denken was jetzt kommt: reteste erneut im Trab, sortiere aus was für euch nichts gebracht hat und wiederhole das, was euch vorangebracht hat.
Merkst du vielleicht noch andere positive Nebeneffekte außer denen, die du dir gewünscht hast? Wird dein Pferd durchlässiger an der Hand und am Schenkel? Trabt es reaktiver an? Lässt es den Hals besser fallen? Toll, was so ein paar kleine Übungen alles für dein Pferd tun können, oder?
Übungsblock drei wären kombinierte kreuzende Bewegungen von Vor- und Hinterhand gleichzeitig. Ob du diese auf der Kreislinie oder auf einer Geraden ausführst, ist dabei ganz euren Vorlieben und Talenten überlassen. Und natürlich folgt auch hiernach wieder der Retest im Trab.
Ich bin mir an dieser Stelle ganz sicher, dass bei den genannten Übungen einige dabei sind, die für dich und dein Pferd eine Verbesserung gebracht haben. Innerhalb einer einzigen Einheit! Und ohne langatmige und eher verschleißende Trabtouren Runde um Runde, sondern mit Cleverness und einer jeweils direkten Überprüfung der Ergebnisse. Alles was (zumindest am heutigen Tag) für euch keine Verbesserung gebracht hat wird einfach aussortiert und bekommt vielleicht in der nächsten Einheit nochmal eine Chance. Alles, was eine direkte Verbesserung erzielen konnte, wird auf die Liste der Übungen gesetzt, die einen echten Mehrwert für dein Pferd bilden. Selbstverständlich muss auch diese Liste regelmäßig überprüft werden, denn nichts hält ewig und was heute den Quantensprung bedeutet hat, kann vielleicht in zwei Monaten nicht mehr weiterhelfen.
Diese Art des Trainings hat gleich mehrere Vorteile:
- Sie verbessert die körperlichen Fähigkeiten deines Pferdes.
- Eure Fortschritte werden sich schnell einstellen und nahezu sofort sichtbar sein.
- Du trainierst megaeffektiv und holst dein Pferd aus der Verschleißarbeit.
- Du bekommst eine andere Idee von Training und fängst an, völlig neu über den Ausbildungsweg deines Pferdes nachzudenken.
- Du wirst dein Pferd nicht mehr mit Übungen nerven, die ganz offensichtlich nichts für seinen Körper tun. Es wird dich dafür lieben!
- Euer gesamtes Training wird effektiver und tatsächlich in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse bringen. Damit bleibt von heute an mehr Zeit für die Dinge, die ihr beide so richtig genießen könnt, wie ins Gelände zu bummeln, ausgiebig zu putzen und zu massieren, in aller Ruhe und Zweisamkeit zusammen abzuhängen oder was ihr sonst gemeinsam so tut.
Wenn du nun Feuer gefangen hast und weitere Anregungen und Ideen für dein zukünftiges Training suchst, dann schau doch mal hier vorbei, denn die Übungen, die ich im Text beschrieben habe, sind alle aus meinem Kreis-Meister-Konzept und darin findest du noch viel mehr solcher tollen und effektiven Trainingsideen.
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Deine Tine Hlauscheck
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