Die Kunst des Erklärens
oder wie ich sehr viel Wasser schluckte.
Im Sommer bin ich mal wieder in die Rolle der Schülerin geschlüpft. Und zwar nicht in etwas, mit dem ich zuvor schon einmal in Berührung gekommen bin, sondern in einer Sportart, die mir komplett fremd war. Ich hatte meine erste Kite-Surf Stunde.
Ich bin in meinem bisherigen Leben nie zuvor auch nur in die Nähe eines Kites gekommen, also war alles was damit zu tun hat, für mich komplettes Neuland. Mein Lehrer an diesem Tag war Jannik. Er selbst kitet seit über 20 Jahren, ist also ein absoluter Profi.
Der Unterricht mit ihm hat richtig viel Spaß gemacht und ich habe sehr viel gelernt – allerdings erst, nachdem wir unsere erste Hürde überwunden hatten! Ich habe ihn nämlich überhaupt nicht verstanden. Und das lag nicht daran, dass er kein deutsch konnte – er sprach genauso fließend wie ich, aber er sprach mit mir, als würde ich den Sport auch schon seit mindestens drei Jahren ausüben.
Mir flogen die Fachbegriffe nur so um die Ohren. „Bar“, „russischer Start“, „anpowern“, bridle, usw… Zugegeben, es klang alles megacool, ließ mich aber in einem Zustand völliger Ahnungslosigkeit und auch Handlungsunfähigkeit dastehen, weil ich schlicht und einfach überhaupt keinen Plan hatte, was ich tun sollte. An welcher Strippe sollte ich zuerst ziehen, damit mein wunderschönes buntes Segel nicht wie ein betrunkener Seemann ins Trudeln geriet und plump ins Meer stürzte? Was es natürlich unzählige Male tat, allerdings nicht, ohne mich dabei so richtig über die Wasseroberfläche zuschleifen – die braune Brühe des Steinhuder Meers schmeckt wirklich mies…
Zusätzlich hatte es den blöden Nebeneffekt, dass ich mir ziemlich dumm vorkam, weil ich nicht einen einzigen Begriff richtig zuordnen konnte und deshalb natürlich auch viel falsch machte.
Nachdem Jannik mir wieder einmal total motiviert erklärte, „ich solle, um einen Backstall zu vermeiden, depowern und notfalls die Frontlines am Adjuster zum Körper heranziehen“ und ich ihn daraufhin einfach nur wie eine Kuh anstarrte und einfach gar nichts machte, fingen wir beide schallend an zu lachen. Ich sagte ihm dann, er solle mir das alles doch bitte so erklären, als wäre ich fünf Jahre alt. Und ab da lief es spitzenmäßig! Also nicht, was meine Fähigkeiten betrifft – die bieten definitiv viel Optimierungsspielraum, aber ich konnte endlich verstehen, was er von mir wollte und natürlich auch seine Anweisungen viel schneller und effektiver umsetzen – und siehe da, das Kite blieb oben – zumindest manchmal.
Das was Jannik und mir an diesem Tag passiert ist, ist nichts Ungewöhnliches und es gibt zwei verschiedene Erklärungen dafür. Die eine ist schnell erzählt:
- Es gibt Lehrer, die ihre eigene Kompetenz unterstreichen wollen, indem sie mit Fachbegriffen und Spezialausdrücken nur so um sich werfen. Dies passiert manchmal absichtlich (schlicht um anzugeben – sehr nervig sowas), meist aber unbewusst. Man möchte dem Schüler zeigen, was man alles kann und dass die Entscheidung Unterricht bei genau ihm (also dem Lehrer) zu buchen, exakt die richtige war. Er ist als Trainer ein Füllhorn des Wissens und das will er unter Beweis stellen. Oder er möchte seine Unsicherheit verbergen (kann ich meinem Schüler helfen? Gefällt ihm mein Unterricht? Lernt er auch genug von mit? …) und das tut er hinter jeder Menge Wissen – schließlich sind wir Trainer auch nur Menschen.
- Die zweite Variante ist die, die auch Jannik passiert ist. Er kitet schon so lange, dass er vergessen hat, wie es ist, das alles nicht mehr zu können. Für ihn ist es absolut selbstverständlich so zu sprechen und all die Fachbegriffe zu nutzen. Er kann sich nicht vorstellen wie es ist, dass alles NICHT mehr zu wissen. Diesen Zustand nennt man unbewusste Kompetenz.
Nehmen wir mal den Angeber- und Selbstdarstellermodus heraus, haben beide Varianten leider die gleichen negativen Auswirkungen auf die Schüler:
- Sie sind maximal verwirrt, denn welcher Laie kennt sich schon in dem ganzen Fachchinesisch aus
- Der Lehrer vergrößert unwissentlich die emotionale Distanz zu ihnen. Der Unterschied bezüglich des Wissensstandes wird enorm hervorgehoben. Dies schafft selten Vertrauen.
- Für den Schüler wird es schwierig nachzufragen, weil er dann befürchtet, sehr dumm dazustehen.
- Der Lehrer lässt die Schüler mit ihrem Unwissen alleine. Obwohl sie lernen möchten, wird es ihnen verwehrt.
- Der Lehrer gibt Anweisungen, die sie überfordern, weil sie sie einfach nicht verstehen.
- Der Lehrer verspielt damit möglicherweise den Lernwillen seiner Schüler und deren Motivation.
- Im schlimmsten Fall verliert man sie damit.
Für uns als Trainer, Ausbilder und Lehrer ist es also immer ganz wichtig, dass wir uns auf die Ebene unserer Schüler begeben.
Wir müssen deren Sprache sprechen und auf deren Leistungsniveau agieren. Nur so holen wir sie dort ab, wo sie sich fachlich gerade befinden. Und nur von dort aus können Fortschritten entstehen.
Dies erfordert als erstes, dass wir versuchen uns daran zu erinnern, wie es war, als wir noch keine Ahnung von der Materie „Dressurausbildung“ hatten und einfach nur zu unserer Freude geritten sind. Welche Erklärungen von damals haben bei uns die Lichter aufgehen lassen? Durch welche Formulierung oder Demonstration hat es bei euch „Klick“ gemacht?
Weiterhin fordert es von uns, gegebenenfalls auf hochtrabenden Formulierungen und das Benutzen lateinischer Begriffe (gerade in der Pferdebranche sehr beliebt) zu verzichten. Aussagen wie „Das schiebende Hinterbein der hohlen Seite muss in der Traversalverschiebung deutlicher ausgreifen.“ oder „Die laterale Dorsalkette arbeitet ineffizient“ klingen zwar extrem schlau, sind aber in den allerseltensten Fällen wirklich hilfreiche Anweisungen.
Handelt es sich um den Beritt eines Pferdes, sieht das ganz ähnlich aus.
Es nützt Chantal-Marisa-Leonie wenig, wenn ich mit Fürst Goldglanz einen perfekten fliegenden Wechsel hinkriege, sie selbst aber bereits am Angaloppieren scheitert.
Wir als Trainer müssen uns eines immer klar machen: es geht hier nicht um uns! Es geht nicht darum, zu beweisen, wie viel wir können oder wissen. Wer das möchte, der sollte entweder Turniere reiten, oder Vorträge vor Fachpublikum halten. Es geht einzig alleine um unsere Schüler und ihre Pferde.
Ich selbst muss mich z. B. immer wieder daran erinnern, dass meine Schüler ihre Pferde vermutlich nicht so betrachten wie ich. Durch meine Affenliebe zur Anatomie sehe ich immer unter die Haut. Wenn ich ein Pferd anschaue sehe ich Muskeln und Knochen. Gelenke und Winkel. Möglichkeiten und Baustellen. Eigentlich schaue ich Pferde nicht an, ich scanne. Das ist meine Berufskrankheit. Ich analysiere. Das macht mich zu einer ziemlich guten Problemlöserin, wenn es um die reiterliche Ausbildung geht, allerdings vergesse ich manchmal den emotionalen Aspekt. Früher hat mich das des Öfteren in Schwierigkeiten gebracht, wenn ich z. B. als Trainingsziel definiert habe: „ Wir müssen die Trageerschöpfung deines Pferdes beheben, denn der Rücken ist so nicht tragfähig und wir müssen verhindern, dass es zu Sehnenschäden kommt.“ Ich hätte genauso gut eine Bombe werfen können. Ich habe das gar nicht böse gemeint, sondern einfach nur sachlich den Status quo beschrieben aber exakt da liegt der Hase im Pfeffer: „sachlich“ und “Herzenspferd“ sind nämlich oft zwei verschiedene Welten und genau diese habe ich durch meine Aussage zum Einstürzen gebracht. Heute habe gelernt, dass meine Sichtweise für mich und meine Arbeit perfekt ist, ich das Ergebnis aus meinen Erkenntnissen aber besitzerfreundlich kommunizieren muss. ;-)
Wenn du dir den harten Weg des Lernens per trial and error ersparen möchtest und wenn du lernen möchtest, wie du dein Wissen so an deine Schüler weitergeben kannst, dass sie es optimal nutzen können, dann schreibe dich an meiner Schule für Meistertrainer ein.