Das Schulterherein
Logisch und kreativ entwickelt wird´s (fast) zum Kinderspiel
Das Schulterherein sei das Aspirin der Reiterei …
… hat mal ein schlauer Mensch behauptet. Ob es nun tatsächlich ein Allheilmittel ist, wage ich respektvoll zu bezweifeln, eines ist jedoch unbestritten: Das Schulterherein ist eine zentrale Übung in der Pferdeausbildung und zwar reitweisenübergreifend. Während man zur Einnahme eines Aspirins jedoch keine nennenswerten Fähigkeiten benötigt, so sieht dies bei der Entwicklung eines korrekten Schulterhereins schon ganz anders aus, denn so hilfreich das Schulterherein auch sein mag, es ist eine anspruchsvolle Lektion, die bei deinem Pferd und dir bereits einiges an Vorkenntnissen und Fertigkeiten voraussetzt. Sind diese Voraussetzungen nicht oder nur teilweise entwickelt, kann auch das Ergebnis immer nur mangelhaft sein und wirft euch in der Ausbildung eher zurück, als dass es euch voran bringt.
Damit euer Schulterherein optisch und funktional ein voller Erfolg wird, zeige ich dir heute ein paar Übungen, die dich und dein Pferde optimal vorbereiten sollen. Das Geheimnis eines guten Schulterhereins besteht hauptsächlich in der Schulterkontrolle, deshalb habe ich für euch drei vorbereitende Übungen zusammengestellt, die den Fokus genau darauf legen. Alle Übungen lassen sich natürlich auch ganz hervorragend am Boden vorbereiten.
Übung 1: Der Hinterhandfächer. (Fächer um die Hinterhand herum)
Aufgabe: Dein Pferd wird auf zwei unterschiedlich großen Kreislinien zum seitlichen Übertreten aufgefordert. Dabei befindet sich die Vorhand auf der größeren der beiden Linien.
Nutzen für dich:
- Koordination der Hilfengebung für Vor- und Hinterhand
- Reduzierung der Vorwärtsbewegung und Entwicklung der Seitwärtsbewegung über den Sitz
Nutzen für dein Pferd:
- Koordination der Bewegungen von Vor- und Hinterhand
- Balanceentwicklung durch das Führen der Beine über die Körpermitte hinweg
- Mobilisierung von Vor- und Hinterhand
Herausforderung: Um wie ein Scheibenwischer von A nach B zu gelangen, müssen die Schritte der Vor- und Hinterhand unterschiedlich groß angelegt werden. Dies ist zu allererst eine Herausforderung für dich, denn Timing, Koordination und die Feinheit deiner Hilfengebung entscheiden hier über das Gelingen der Übung.
Achtung: Wird die Übung über den inneren Zügel eingeleitet (auf der Skizze wäre dies der rechte Zügel), „bricht“ das Pferd zwischen Halsansatz und Schulter ab. Es dreht dann mit der Vorhand nach rechts, die Hinterhand weicht nach links aus und die Übung ist misslungen.
Lösung: Arbeite mit deinem Gleichgewicht. Stell dir vor, dein Pferd und du ihr verschmelzt zu einem Zentaur. Der Oberkörper ist deiner, die Beine des Zentauers sind die Vorderbeine deines Pferdes. Durch Verlagerung deines Körperschwerpunktes leicht nach rechts, wird die Seitwärtsbewegung ermöglicht, denn das linke Vorderbein des Pferdes wird nun, da es vom Gewicht befreit ist leichter und kann seitlich bewegt werden und kreuzen. Dies kannst du sehr gut ausprobieren, indem du die Übung in Zeitlupe selber am Boden gehst. Die Hinterhand deines Pferdes koordinierst du über deine Schenkel. Ziehe das Pferd hinter dir her, anstatt es zu drücken.
Variation: Je besser die Übung funktioniert, umso kleiner kannst du die Kreislinie für die Hinterhand wählen. Mit ein bisschen Übung entwickelst du so Schritt für Schritt die Kurzkehrtwendung. Dabei ist der Unterschied des Raumgriffes von Vorderbeinen und Hinterbeinen am größten, da die Hinterbeine idealerweise hierbei nur noch taktmäßig nebeneinander auf- und abfußen, während die Vorderbeine deutlich kreuzen.
Zur Überprüfung der Korrektheit deiner Hilfengebung, reite die Übung mit nur einhändiger Zügelführung. Wenn das gelingt, bist Du gut vorbereitet für Übung Nr. 2
Übung 2: Schenkelweichenwelle Hinterhand
Aufgabe: Entlang einer Geraden (vorzugsweise der Mittel- oder Viertellinie, da der erste Hufschlag Fehler zu gut kaschiert) entwickelst du mit deinem Pferd einige Schritte Schenkelweichen und führst die Hinterhand danach wieder auf die Gerade zurück. Die Hinterhand kann dabei wahlweise nach rechts oder links geführt werden.
Nutzen für dich:
- Verbesserung der Schulterkontrolle
- Überprüfung der Koordination der Hilfengebung
Nutzen für dein Pferd:
- Mobilisierung der Hinterhand
- Verbesserung der Koordination der Bewegungen
- Verbesserung der Durchlässigkeit
Herausforderung: Egal ob die Hinterhand ins Schenkelweichen geführt wird oder wieder zurück ins Geradeaus, die Vorhand soll ihre Spur auf der Geraden nicht verlassen. Dabei entpuppt sich das Zurückführen oft als schwieriger. Suche dir einen Punkt an der kurzen Seite auf den du zureitest und visiere ihn an. So erkennst Du sofort, wann ihr zu Schwanken beginnt.
Achtung: Diese Übung ist schwerer als sie auf den ersten Blick erscheint. Hier ist gerade zu Beginn wenige mehr! Bei zu viel Abstellung der Hinterhand bekommen die meisten Pferde mehr Vorwärtstendenz und drücken gegen den Zügel, weil sie nach vorn ausweichen wollen. Wenn das passiert wird spätestens im Zurückführen der Hinterhand, aus der Geraden ganz schnell eine Schlangenlinie. Die Koordination der fein verwahrenden Zügehilfen (die ihr ja bereits in Übung Nr. 1 geübt habt) und des seitwärtswirkenden Schenkels ist hier die Herausforderung.
Lösung: Führe die Hinterhand zunächst nur so wenig nach rechts oder links, dass dein Pferd nicht in Versuchung kommt, nach vorn oder über die Schulter auszuweichen. Der Fokus sollte stets darauf liegen, die Schulter/Vorhand auf der Geraden halten zu können. Stell dir dazu vor, du reitest die Übung in einer Ackerfurche und die Vorhand darf diese Furche nicht verlassen. Reite die Übung außerdem in einem Tempo, dass unter eurem normalen Schritttempo liegt. Je ruhiger die Übung ausgeführt wird, umso besser kannst du Fehler vermeiden und umso leichter fällt sie deinem Pferd.
Variation: Genauso, wie du die Hinterhand ins Schenkelweichen geführt hast, führst Du nun die Vorhand ins Schenkelweichen und wieder zurück. Diesmal bleibt die Hinterhand in der Ackerfurche. Wichtig ist hierbei, dass dein Pferd unter dir gerade bleibt. Arbeite völlig ohne Biegung und Stellung, so kannst Du viel besser kontrollieren, dass dein Pferd nicht über die äußere Schulter ausbricht.
Wenn diese Übung gut klappt, seid ihr dem Schulterherein schon ganz nah.
Übung 3: Konterstellung auf der Zirkellinie
Aufgabe: An der offenen Zirkelseite erarbeitest du mit deinem Pferd eine leichte Außenstellung. Entwickle die Übung auf beiden Händen und finde heraus, auf welcher Hand sie euch leichter fällt.
Nutzen für dich: Du kannst mit dieser Übung herausfinden, auf welcher Hand deinem Pferd das Schulterherein leichter fallen wird. Wenn das Reiten in Außenstellung für euch auf der rechten Hand leichter ist, dann weißt du, dass du später mit dem Schulterherein auf der linken Hand beginnen solltest. Diese wertvolle Information verhilft euch später zu schnelleren Erfolgserlebnissen. Zusätzlich ist die Übung eine hervorragende Überprüfung der Schulterkontrolle und zügelunabhängiges Reiten.
Nutzen für dein Pferd: Dein Pferd lernt, sich in eine andere Richtung zu bewegen, als die, in die es gestellt ist. Dies ist auch beim Schulterherein der Fall.
Herausforderung: Die Übung ist ohne Zweifel anspruchsvoll. Die Außenstellung so dezent zu entwickeln, dass weder der Takt noch die Balance des Pferdes gestört werden ist wirkliche Feinarbeit.
Achtung: Eine zu starke und/oder zu schnelle Zügeleinwirkung bringen dein Pferd ins Schwanken. Dies kann neben den negativen körperlichen Auswirkungen auch einen Vertrauensverlust in deine Reiterhand zur Folge haben. Darunter leidet die Losgelassenheit deines Pferdes ganz immens.
Lösung: Entwickle die Außenstellung Millimeter für Millimeter über mindestens 5 Tritte. So kannst du zusätzlich genau erkennen, ob du die Schulter deines Pferdes gut unter Kontrolle hast, oder ob und wann sie nach innen in Richtung Zirkelmitte wegbricht. Wenn du wieder zur Innenstellung zurückkehren möchtest, macht du es genauso: ganz langsam und über mehrere Tritte löst du die Außenstellung auf.
Variation: Verlege die Übung auf die Mittellinie und wechsle auf der Geraden vorsichtig von einer Rechts- in eine Linksstellung. Dein Pferd soll absolut stellungsunabhängig geradeaus laufen. Diese Übung ist gnadenlos: Sobald dein Pferd auch nur ein bisschen ins Schwanken gerät und beim Umstellen über die Schulter nach rechts oder nach links driftet, zeigt dir das, dass die Koordination deiner Hilfen und die Schulterkontrolle noch nicht ausreichend entwickelt sind, um erfolgreich ein Schulterherein zu versuchen. Gehe in diesem Fall nochmal zu den Übungen Nr. 1 und Nr. 2 zurück um eure gemeinsamen Voraussetzungen zu verbessern und zu festigen.
Gelingt die Übung ohne Probleme, wird auch euer Schulterherein ein Erfolg werden, da ihr euch mit klug vorgeschalteten, kleinschrittigen Übungsstufen alle Voraussetzungen erarbeitet habt.
Die Zielübung: Das Schulterherein
Für die Entwicklung des Schulterherein kannst du den gleichen Aufbau verwenden, den du bereits von den Schenkelweichenwellen kennst. Nur die Position der kleinen Hütchen wird etwas verändert.
Aufgabe: Entlang der Viertel- oder Mittellinie entwickelst du das Schulterherein aus einer Volte heraus. Nach einigen Tritten verlässt du es wieder, ebenfalls in eine Volte.
Nutzen für dich:
- Überprüfung der Hilfengebung
- Verbesserung der Orientierung im Raum
- Entwicklung von zielgerichtetem und punktgenauem Reiten
Nutzen für dein Pferd:
- Verbesserung der Längsbiegung
- Entwicklung/Verbesserung der Tragkraft des jeweils inneren Hinterbeines
- beginnende Entlastung der Vorhand
- Milderung der natürlichen Schiefe
Herausforderung: Das zügelunabhängige Hereinführen der Vorhand in die Bahn allein über den Sitz entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Übung. Neben einer korrekten Schulterkontrolle ist der Takt ein wichtiger Faktor. Er sollte ruhig, gleichbleibend und unaufgeregt sein, wie eine im positivsten Sinn rhythmisch arbeitende Maschine.
Achtung: Wer den inneren Zügel zum Wenden der Vorhand nutzt, wird wenig bis keine Chancen auf ein korrektes Schulterherein haben. Durch den Zügeleinsatz, wird der Hals überbogen, der Rumpf bleibt jedoch im Geradeaus. Ein solches „Schulterherein“ hat keinerlei gymnastischen Wert und verstärkt im Schlimmsten Fall die natürliche Schiefe zusätzlich.
Lösung: Wie in der ersten Übung, ist auch hier das einhändige Reiten ein perfekter und gleichzeitig gnadenloser Kontrollmechanismus, denn was mit einer Hand nicht funktioniert, war mit beiden Händen nur getrickst. Wenn dein Pferd einen zu deutlichen Vorwärtsdrang in der Übung zeigt, kann ein Halsring oder Balancezügel dabei helfen, diesen besser und vor allem ohne deutlichen Zügeleinsatz kontrollieren zu können.
Ich liebe die planvolle und kleinschrittige Entwicklung von anspruchsvollen Übungen. Wenn man dabei klug vorgeht, kann man fast alles erlernen. Das gilt nicht nur für das Schulterherein, sondern für alle anderen Lektionen und seien sie auch noch so anspruchsvoll.
Alle beschriebenen Übungen sind natürlich auch Bestandteile des Kreis-Meister-Konzepts und wenn du mehr darüber erfahren willst, dann trage dich schnell in die Liste ein, denn das KMK ist seit gestern im Vorverkauf und nur im Pre-Sale gibt es ganz tolle Boni inklusive!
In diesem Sinne wünsche ich euch ganz viel Spaß und Erfolg beim Üben.